Kapitel 119 – Der Weg zurück
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Kapitel 119 – Der Weg zurück
„Bitte… Bitte lass das! Wie kann ich dir das verraten, wenn du meinen Mund verdeckst!?“ Die Stimme des dritten Troll-Bruders war voller Hysterie und Vorwürfe. Die beeindruckende Aura, die er zuvor noch gezeigt hatte, um Bai Ji einzuschüchtern, war spurlos verschwunden.
„Oh, wirklich? Dann muss ich mich bei dir entschuldigen~“ Doch lag nicht die geringste Spur von Reue in ihrem unschuldigen Lächeln.
„D-Das hast du doch extra gemacht!“
„Äh? Wie könnte das nur sein… Sehe ich wirklich wie eine so böse Person aus?~“ Fragte Bai Ji und leckte sich boshaft über ihre kirschroten Lippen.
„…Aber selbst, wenn ich es mit Absicht gemacht habe~ Was kannst du überhaupt dagegen tun?“
„Uhh…“ Der Troll verstummte.
„Also~ Hast du mir nichts zu sagen?“
„I-Ich sags‘ ja schon. Ich sage es dir, okay!? …Ähm, wirst du mich am Leben lassen, wenn ich es dir sage?“
„Oh, mein Lieber~! Du bist doch schon in so einem Zustand, denkst du immer noch, dass du die Möglichkeit hast, mit mir zu verhandeln?~“ Bai Ji grinste und stieß ihre Hand gegen den Griff ihrer Sense. Mit einem Knacken zerschmetterte deren Klinge die Nase des Trolles.
„Urgh!“ Dieser wagte es nicht einmal, seinen Schmerz auszurufen und ertrug ihn schweigend. Obwohl ihm als Troll von Natur aus Furchtlosigkeit in die Wiege gelegt worden war, wusste er genau, dass er das Mädchen vor sich auf gar keinen Fall provozieren durfte.
„E-Es war… Ein Offizieller der Grenzstadt hat uns reingelassen…“
„Ich rate dir eines: Du sprichst besser die Wahrheit…“ Bai Jis Augen erschienen wie dünne Linien.
„Es stimmt! Ich würde dich nicht anlügen!“
„Dann, gebe mir doch einen Grund, dir zu glauben.“ Die Vampirin enthüllte ein kaltes Lächeln.
„Es- Es ist die Wahrheit, das kann ich dir versichern! Vor einigen Tagen hat sich wohl einer der Goblins gezeigt, indem er einen Gullydeckel geöffnet hat! Ihr müsst ihn doch gesehen haben, oder? Es gibt keinen logischen Grund, wieso der Ritterorden sowas ignorieren würde! Auch würde die ganze Stadt davon reden… Ist das nicht klar? Wenn uns nicht einige Menschen helfen und hier verstecken würden, wären wir schon längst aufgeflogen! …I-Ihr habt doch sicher die Menschenleichen auf eurem Weg hierher gesehen, oder? Sie wurden in ihren Tod geschickt… Sie wären so oder so nicht lebend zurückgekehrt…“
Bai Jis Gesichtsausdruck verdüsterte sich, je mehr sie den Worten des Trolles folgte. Sie musste an das junge Mädchen, das von den Goblins gefangen genommen und deren Gliedmaßen von jenen amputiert worden waren, denken.
„Wer genau…?“
„Wer genau war es?“, wiederholte sie ihre Frage.
„Ich glaube er heißt… Lan-, Lan irgendwas. …Richtig! Lan Yu!“
„…Hat er euch mit dieser seltsamen Magieformation hergeholt?“ Bai Ji tippte mit ihrer Fußspitze auf die Oberfläche der Steinbrücke.
„J-Ja…“
„Woher weiß er, wie man so bizarre Magie nutzt?? Ist es eine Einweg-Formation? Wo ist ihr anderes Ende?“
„Das-… Ich weiß es nicht…“ Der dritte Troll-Bruder schüttelte seinen Kopf und sah verängstigt die Vampirin vor sich an. „Bitte lass mich am Leben! Ich weiß es wirklich nicht!“, brachte er noch vor, nervös darum bemüht, ihren Zorn nicht auf sich zu ziehen.
„…“ Doch Bai Ji schwieg nur.
„Ähm… Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß… Kann ich nun gehen?“
„Natürlich kannst du~“ Bai Ji zeigte ihm ein unschuldiges Lächeln, bevor sie ihre dünnen, jade-ähnlichen Finger auf das eiserne Fallgatter auf der einen Seite der Brücke richtete.
„Bring Xiaomu wieder zum Leben oder rette den Dickkopf, der ins Wasser gefallen ist und bring ihn her. Nur das kann dein widerliches Leben wiedergutmachen.“
„Da-das-…“ Der dritte Troll-Bruder fror ein, bevor er sich seine Seele aus dem Leib brüllte: „Das ist unmöglich!! Du spielst nur mit mir!! Ich kann das nicht und du weißt das!“
„Hast du an Fairness gedacht, als du sie getötet hast?“, murmelte Bai Ji ausdruckslos.
„Ihre Leben sind nichts mehr als die von Ameisen! Wie kannst du sie nur mit meinem vergleichen!? …Ahhhh!“
„Ohh~?“ Bai Ji legte ihren Kopf schief und zog die Spitze ihrer Sense aus dem Bauch des Trolles, in den sie sich gebohrt hatte. „Warum würde Ungeziefer wie du – ohne jegliche Spur von Empathie – das brandschatzt, plündert und mordet, auf den Gedanken kommen, besser als andere zu sein? Wirklich sehr seltsam…“
„Möge deine Seele auf immer vom Kreislauf der Reinkarnation ausgeschlossen sein.“
Ein weiteres Mal senkte sich die Sense herab und nur einen Sekundenbruchteil später rollte ein großer, bösartiger Kopf wie ein Ball auf der Steinbrücke herum. Seine blaue, transparente Seele versuchte noch mit aller Kraft, zu entkommen, konnte jedoch nur widerstrebend und voller Schmerz aufschreien, als sie in den menschlichen Schädel am Rand der Klinge der Waffe gezogen wurde.
„Bai Ji blickte zur Seite und ließ den Kopf mit einem Tritt in den Kanal unter der Brücke fallen. Ohne sich um die kopflose Leiche zu kümmern, kehrte sie an Xiaoshas Seite zurück.
Deren Gesicht war aschfahl. Auch wenn sie ihr Bewusstsein verloren hatte, schienen sich ihr unterbewusst einige schreckliche Szenen der Vergangenheit durch den Geist zu spuken.
‚Das war zu erwarten. Schließlich ist ihr erst gestern etwas schlimmes zugestoßen…‘
„Und nun… Ich schulde dir noch ein Versprechen.“ Mit Xiaosha in ihren Armen, entfaltete Bai Ji ihre Flügel. Zahlreiche kleine Fledermäuse umschwärmten sie wie Sterne den Mond, als sie sich in die Luft schwang.
Langsam hob sie ihre massive Sense in eine horizontale Position und richtete deren Klinge direkt auf den Tunnel hinter dem eisernen Fallgatter.
Als ob sich tausende Geister manifestierten, ergossen sich zahlreiche blaue Seelen aus dem menschlichen Schädel an der Waffe. Sie alle schrien und wanden sich voller Schmerzen. Unter der bindenden Kontrolle des [Seelenfressers] sammelten sie sich alle an der Spitze der Sense.
Wenn sich eine gewisse Anzahl an Seelen im Seelengefäß des [Seelenfressers] angesammelt hatte, war die Waffe in der Lage, einen angemessenen Wunsch ihrer Besitzerin zu erfüllen.
„Lösche alle Goblins an diesem Ort aus, lasse keine am Leben.“ Wie als Antwort auf Bai Jis Befehl, strömten mehr und immer mehr Seelen aus dem Schädel in immer höherer Geschwindigkeit. Und der Ball aus blauen Seelen an der Spitze der Sense wuchs größer und größer.
Mit einem Knacken löschte der [Seelenfresser] jedes Bewusstsein der zahlreichen Seelen aus und verband sie zu einer einzigen – einer einzigen, gigantischen Seele.
„Hahaha!!“ Die Seele, welche die Form eines menschlichen Schädels annahm, schien eine Gefühlsregung durchzumachen. Furchterregendes, blutrotes Licht leuchtete in den Löchern, in denen sich eigentlich ihre Augen befinden würden, auf.
Schlussendlich entkam die Ungeheuerlichkeit den Fesseln der Sensen-Klinge, öffnete seine Kiefer und flog in hoher Geschwindigkeit durch das Fallgatter. Auch wenn sie wie etwas fassbares wirkte, flog sie ungehindert durch dessen eisernen Stangen.
Ihr schwaches, blaues Licht schoss immer weiter durch den Tunnel und wurde langsam von der Dunkelheit verschluckt.
„Und zum Schluss…“ Bai Ji blickte eiskalt auf die steinerne Brücke unter sich. Die Magie-Formation, welche auf ihr eingraviert war, wand sich wie ein Haufen Würmer1.
Bai Ji stieg hoch in die Luft und bald begannen schwarze Flammen, ihre Flügel zu umhüllen. Langsam erfüllten sie den Himmel. Kleine Fledermäuse umschwärmten sie und sorgten dafür, dass sich die Flammen weiter ausbreiteten und schon nach kurzem ihren ganzen Körper umhüllten.
[Göttliche Quelle – Stil der Lasombra, der Herabstürzende Tod]
Mit dem Erscheinungsbild eines gefallenen, in schwarze Flammen gehüllten Engels, stürzte sie vom Himmel und zerschmetterte die Steinbrücke, als ob diese nur aus modrigem Holz bestand.
Zahlreiche Steinbrocken, schwarz brennend, fielen in das Wasser des Kanals…
…………
„…Ähh…“ Xiaosha öffnete mit einiger Anstrengung ihre Augen und merkte, dass sie auf einem gemütlichen, warmen Objekt lag.
„Alter Perverser? Bist… du… das…?“
„Mhm.“, entgegnete ihr Ji Bai, der sie auf seinem Rücken trug, kurz und knapp.
„Sind wir… Ist das…“ Xiaoshas Augen drohten wieder zuzufallen. „Der Weg zurück?“
„Ja, wir sind auf dem Weg nach Hause.“
„Oh, ist das so… Hää!? Wi-Wir leben noch!?“, schrie Xiaosha überrascht auf. Als sie ihre Umgebung genauer betrachtete, erkannte sie, dass sie wieder durch die vertraten Straßen von Grenzstadt wanderten.
„Schient so.“, antwortete Ji Bai, zielstrebig voranlaufend.
Xiaosha bewegte ihren Hals umher und zahlreiche Schmerzen zuckten durch ihren Körper, von dem nicht ein Teil unversehrt geblieben zu sein schien.
„Bist du verletzt??“ Blutflecken, Schwertmale und abgetrennte Fleisch-Stücke konnten über Ji Bais Brigantine verstreut gesehen werden.
„Nichts Wichtiges… Ich habe doch gesagt, dass ich für deine Sicherheit garantiere.“
Xiaosha schwieg nur und murmelte leise, während sie den Sonnenuntergang am Horizont betrachtete: „Ist das ein Traum?“
„Wenn du möchtest, kannst du so tun, als ob.“
„Und was ist dann mit Xiaomu und Huo Lei…?“
Doch Ji Bai schwieg.
Die letzten Strahlen der Sonne erhellten ihren Weg.