Kapitel 62 – Regenerativer Schlag!
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Kapitel 62 – Regenerativer Schlag!
„Haaah!“ Ein starker Windstoß erfasste Bai Jis Gesicht. In einem momentanen Anfall an Kraftlosigkeit, hockte sie sich auf den Boden und bedeckte unwillkürlich ihren Kopf. Sie hatte keine Kraft mehr, die Attacke zu blocken.
Knochen zerschmetterten, Fleisch zerriss und ein schweres, metallenes Objekt fiel zu Boden. Danach kehrte Stille ein.
„…Hmm?“ Überrascht, dass das Gefühl von Schmerz immer noch nicht eingekehrt war, öffnete Bai Ji vorsichtig ihre Augen. Einige Schritte von ihr entfernt lagen zwei – perfekt in der Mitte zerteilte – Hälften eines Trolles. Und daneben stand ein Mädchen mit silber-grauem Haar, welches wie eine Reihe an Flüssen von ihrem Kopf zu fließen schien. Die in einen Pferdeschwanz gebundenen Haare leuchteten leicht im fahlen Mondlicht.
Das Mädchen wischte gerade das Blut des Trolles von ihrem Säbel in Form eines Fangzahnes. Fertig damit hob sie ihre Augen und entgegnete Bai Jis Blick.
‚Oh, Mist! Warum muss es gerade sie sein, die mir hilft? Wieso konnte es nicht jemand anderes sein?!‘, fragte sich Bai Ji in einem kurzen Anfall an Verzweiflung.
Ihre Augen verloren jeden Glanz und starrten ihre Retterin ohne jegliche Regung an. Langsam wanderte ihr Blick zu dem Bereich zwischen Lins Bauch und Schlüsselbein.
‚Tch! Ein Haufen an überflüssigem und nutzlosem Fett! Das Zeug ist nichts weiteres als Ballast! Ich wette, dass du, wenn du schläfst, immer wieder verzweifelt nach Luft schnappst, da diese Fetthaufen auf deinen Brustkorb drücken! Hmpf~!‘
„…“ Lin schien sich an Bai Jis unhöflichem Verhalten nicht zu stören. Ihre Augen fielen auf Goutermera, welche neben der anderen Vampirin aufrecht stand. Langsam lief sie auf ihr Gegenüber zu.
„…Was machst du hier? Denk bloß nicht, dass ich dir dankbar bin, weil du mir geholfen hast! Ich habe dich niemals darum gebeten, mich zu retten!“, brachte Bai Ji hervor, während ihr Lin, immer noch sie anstarrend, immer näherkam. In einer letzten Verzweiflungstat enthüllte sie ihre Fangzähne, wie um ein Zeichen der Kraft zu zeigen.
„…“ Lin ließ sich davon jedoch nicht beirren und stand nun direkt vor Bai Ji, ihre Augen auf das Gesicht der kleineren Vampirin fixiert. Nach kurzem Überlegen legte sie eine Hand auf ihren Bauch und beugte ihren Körper in einer noblen Geste des Grußes der verwirrten Bai Ji entgegen.
„Hiermit erweise ich Unwürdige Eurer königlichen Majestät, der Prinzessin, meinen Respekt.“, sprach Lin, als sie sich wie eine Diplomatin, die gerade einen König traf, hinkniete. Ihr frommer und unterwürfiger Blick war auf Bai Jis Füße gerichtet und sie zeigte keinerlei Anzeichen, ihre Augen heben zu wollen.
Dies alles war so schnell geschehen, dass es Bai Ji komplett verblüfft zurückgelassen hatte.
„Ähm, w-was möchtest du damit erreichen?…“
„Auch wenn Lin schon langer nicht mehr in ihrer Heimatstadt gewesen ist, ist ihr Stolz als Vampir nicht geschwunden. Wie könnte ich denn nicht meinen Respekt erweisen, wenn ich die Tochter des Himmels treffe?“, entgegnete Lin in einem ernsten Tonfall.
„…Ich bin nicht deine Prinzessin.“, brachte Bai Ji nur hervor. Doch war der stumme zweite Teil ihres Satzes, ‚Ich bin ein Mensch und alles andere als eine Vampirprinzessin!‘, nichts, was sie laut sagen würde. Schließlich war dies ihr größtes Geheimnis.
„Es scheint mir unwahrscheinlich, dass ich falsch liege. Der Seelenfresser – Goutermara – ist ein heiliges Objekt, das nur Vampire, die der Königlichen Familie angehören, nutzen können. Das würde ich niemals verkennen.“, erwiderte ihr Lin mit starker Sicherheit in der Stimme.
„Zwar ist es lange her, dass ich zu Hause gewesen bin. Daher bin ich nicht über die dortige Lage informiert. Ich frage mich, ob Ihr die Tochter Eurer königlichen Hoheit, Lasombra Lilias seid?`“
„Was!? Wer soll ihre Tochter sein!? Von dieser grässlichen, schamlosen Vampirin! Lass mich mit ihr in Ruhe! Ich kann nicht unter dem Selben Himmel wie diese kleine Hure leben!“, spuckte Bai Ji entsetzt aus. Mit äußerster Kraft versuchte sie, immer noch schwächlich auf ihre Waffe gelehnt, jegliche Verbindung mit Lilias abzustreiten. Ihr standen gar die Haare zu Berge.
„???“ Dies schockte Lin. Das erste Mal in ihrem Leben erlebte sie es, wie jemand gegenüber der Herrscherin des Blutes einen Schwall an Beleidigungen losließ. Gegenüber ihr, deren alleinige Existenz jede andere Spezies in Angst und Schrecken versetzten mochte.
Wenn jemand anderes so über ihre Königin geredet hätte, würde Lin ohne weitere Worte diese Person umbringen. Da ihr aktuelles Gegenüber jedoch die Kronprinzessin zu sein schien, also diejenige, welch selbst einmal die Königin des Blutes sein würde…Um es einfach auszudrücken… Sie wagte es nicht, sich in diesen Streit zwischen Mutter und Tochter einzumischen.
Und so machte für sie alles auch am Meisten Sinn. Denn wer anderes als die Prinzessin würde denn den Mut oder den Rang haben, die Königin beleidigen zu können? Es konnte nicht anders sein, als dass dies vor ihr die Prinzessin war.
„Eure Hoheit, auch wenn ich es nie wagen würde, mich in persönliche Angelegenheiten zwischen Euch und der Königin einzumischen, möchte ich Euch doch erinnern, dass die Königin immer noch Eure Mutter ist und Ihr daher nicht-“
„Okay! Okay! Ich verstehe~! Du musst nichts mehr sagen…“, unterbrach Bai Ji Lins Ratschlag. Angesichts der sich anschließend einstellenden Kopfschmerzen konnte sie jedoch nicht anders, als sich die Schläfe zu massieren.
‚Wieso habe ich nicht schon bei unserem ersten Treffen bemerkt, wie nervig diese kleine Vampirin ist?‘
Kraftlos kniete sie sich wieder auf den Boden, ihre Figur machte den Eindruck von mitleidserregender Hilflosigkeit.
‚Mich hat wohl auch alles Glück verlassen…‘
‚Mal abgesehen davon, dass ich seit drei Tagen nichts mehr zu mir genommen habe, muss ich Überstunden für meinen ideologischen Gegner ableisten und damit riskieren, dass meine Krankheit ausbricht! Das ist einfach zu viel! Selbst einem zu Tode verurteilten ist es vergönnt, mit vollem Magen zu sterben! Und ich habe das Schlachtfeld betreten, ohne vorher was gegessen oder getrunken zu haben… Und trotz allem nervt mich immer noch jemand… Uhhh~‘
„Eure Majestät?“, fragte Lin besorgt. Sie kniete immer noch unbewegt auf dem Boden. Doch gerade, als sie ihrer Frage etwas hinzufügen wollte, unterbrach sie eine grobe Stimme.
„Hey, Lin. Warum bist du einfach so davongeflogen? Du kannst vielleicht fliegen, aber wir anderen-… Oh? Ist das…?“ Huo Lei, der wohl gerade die Treppe des Wachturms erklommen hatte, blieb abrupt stehen. Sein Blick war auf zwei junge Vampirinnen gefallen, welche beide auf dem Boden hockten und wer-weiß-schon-was taten.
Lin blickte zu ihrem Mitschüler und kniff fragend die Augen zusammen. „Wo sind Ke’er und Xiaosha?“
„…Beide meinten, dass sie Angst vor mir haben und mir nicht folgen wollen. Sie begleiten Herrn Lin Tuo.“, war Huo Leis leicht verärgerte Antwort.
„Ist die Belagerung im Bereich des südlichen Stadttors aufgehoben worden?“, mischte sich Bai Ji – immer noch an ihre Sense geklammert – ein. Es hatte sie etwas überrascht, Huo Lei komplett unversehrt eintreffen zu sehen.
„Die Belagerung? Die ist immer noch im vollen Gange…“ Der Troll lächelte und zeigte den beiden Vampiren seinen Streitkolben, welcher mit grünem Blut benetzt war. „Ich habe mich hierher durchgekämpft.“
Sowohl Bai Ji als auch Lin musterten ihn ungläubig.
„Hä? Was meinst du damit?“
„…Wie fühlt es sich an, Mitglieder der eigenen Spezies abzuschlachten?“, fragte Bai Ji nach einem Moment der Stille.
„Ah, also das… Ist natürlich-“
„Verräter an allen Trollen! Stirb!“, unterbrach ein schwer verletzter Troll-Soldat Huo Leis Antwort, indem er auf ihn zu hastete und eine Waffe schwang.
„Huo Lei, hinter dir!“
Lins Mitschüler lächelte ihr leicht zu. Dann schwang er herum und vergrub seine Faust im Schädel seines Gegners. Mit einem knackenden Geräusch und dem Krachen von zerberstenden Steinen schmetterte er diesen durch den Boden des Wachturms hindurch.
Anschließend schnippte Huo Lei leicht mit den Fingern. Über dem verblüfften Gesicht des ein Stockwerk tiefer liegenden Troll-Soldaten begannen sich die Steine, die sein Körper zerschmettert hatte, wieder zusammenzufügen und die Lücke zu füllen…
„Ahhhh!!!“
„Regenerativer Schlag.“, sagte Huo Lei nur, während er sich den Staub von den Händen klopfte. Sein ehemaliger Gegner kümmerte ihn nicht mehr, schließlich war dieser sowieso dem Tode geweiht. Denn seine vorherige Attacke hatte dessen Unterkörper vollständig zerschmettert. „Also, wo waren wir gerade?“