Kapitel 83 – Ambitionen
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Kapitel 83 – Ambitionen
Als Ji Bai bemerkte, dass er Gegenstand des Gesprächs geworden war, räumte er mit seinen durcheinander geratenen Gefühlen auf. Sein angespannter, komplizierter Gesichtsausdruck wich Gelassenheit.
‚Was geschehen ist, ist geschehen; Wie ein Blatt, das einen Fluss herabgeschwemmt wird, wird die Vergangenheit nicht zurückkehren. Aber warum muss ich immer noch daran denken, wieso kann ich es einfach nicht vergessen?‘
Er verbeugte sich vor Ji Yue und ihren beiden Begleitern und formte anschließend einen ritterlichen Gruß.
Ji Yue warf ihm einen Blick zu, „In Ordnung, verstanden.“ Weder reagierte sie überrascht, noch zeigte sie Abneigung gegenüber dem durchschaubaren Versuch des übergewichtigen Leiters der lokalen Niederlassung, seine Arbeit von einem Untergebenen erledigen zu lassen.
Ihre ruhigen, violetten Augen zeigte nicht einen Hauch an Interesse – als ob ihr alles um sie herum egal wäre.
„Dürfte ich bitte Ihren Namen erfahren, Ritter?“ Obwohl sie ihm eine Frage stellte, blickte sie nur teilnahmslos auf die Dokumente in ihren Händen.
Mehr als diese Frage würde sie wohl nicht mehr stellen, nicht einmal ihre Meinung zu verschiedenem äußern. Die Frage, die sie ihrem Gegenüber gestellt hatte, war nur eine Frage der Etikette, nur mit dem Zweck, später zu wissen, wie sie ihn anreden konnte.
Dies war genau die ‚kleine Schwester‘ aus Ji Bais Erinnerungen; Ihr war wirklich alles um sie herum egal.
‚Sie ist wirklich immer noch dieselbe wie früher… In der ganzen Zeit, seitdem ich nicht mehr an deiner Seite sein konnte, wusste ich nie, ob dich jemand schikanieren würde, du genug isst oder, ob die Mahlzeiten, die dir die Diener servieren, dir schmecken würden… Aber nun sehe ich, dass es dir gut geht, besser als ich noch an deiner Seite war. Somit kann ich beruhigt sein.‘
‚Ich denke, dass wir wohl unsere Leben unabhängig voneinander leben werden.‘
Im Schatten seines Helmes senkte Ji Bai seine Augen.
„Mein Nachname ist Li.“, sprach Ji Bai mit verstellter Stimme – besonders rau und grob.
Ji Yue nickte kurz, um zu zeigen, dass sie ihn verstanden hatte und schloss ihren Ordner. Anschließend gab sie diesen an einen ihrer Begleiter zurück.
Der Ritter schien angesichts dessen, dass Ji Bai nur flüchtig gegrüßt und seinen Helm nicht abgenommen hatte, verärgert zu sein. „Verzeiht mir, so offen zu sprechen, aber solltet Ihr nicht euren Helm abnehmen, wenn Ihr ihre Exellenz, die Prälatin, grüßt? Gibt es etwa etwas, was Ihr verheimlichen wollt?“
„Das ist etwas, zu dem ich mich als Ritter entschlossen habe. Ich bitte um Eure Verzeihung.“, antwortete Ji Bai gelassen, während er – den Ritter ignorierend – immer noch nur Ji Yue anblickte.
‚Ihr ist es doch Egal, also wieso mischst du dich ein? Du bist nicht derjenige, der hier das Sagen hat. Merkst du denn nicht, dass deine Vorgesetzte schweigt? Wieso also dich einmischen?‘
„Das ist nicht wichtig.“, sagte Ji Yue, ohne damit ihre Meinung auszudrücken; Genau wie schon zuvor, schienen sie die Geschehnisse um sie herum nicht zu scheren.
Im Vergleich zu Anreden wie ‚Prälatin Ji‘ oder ‚Junges Fräulein Ji‘ kam ihr die Art, wie dieser seltsame Ritter sie ansprach, gar wie ein Hauch frischer Luft vor.
„Vielen Dank für Ihr Verständnis, Prälatin.“, bedankte sich Ji Bai kurz. Ihn kümmerte der hochmütige Ritter, der angesichts dessen, ignoriert zu werden, wütend und beschämt war, nicht weiter.
„Hehehe.“, mischte sich der übergewichtige Rodo mit einem breiten Grinsen ein. „Ich frage mich, ob Ihr schon gefrühstückt habt, Prälatin Ji. Wenn es euch genehm ist, können wir Euch gerne Essen anbieten…“
Ji Bai hob seine Brauen.
‚Interessant, mein lieber Fettsack. Das letzte Mal, dass du mir etwas zu Essen angeboten hast, hast du dich zuvor dagegen gewehrt… Wieso bist du nun so großzügig?‘
„Das ist nicht notwendig. Möchtet Ihr etwa, dass das junge Fräulein Eure Reste isst?“, warf der zweite Begleiter von Ji Yue Rodo vor.
„Haha… Da-, Dann wieso ruhen Sie sich nicht ein wenig aus? Auch wenn Grenzstadt nicht viel anbieten kann, haben wir hier genug Räume, die selbst ein fünf-Sterne-Restaurant in den Schatten stellen können! Sie drei können doch-…“
„Bringen Sie uns einfach zum Gericht.“, hob Ji Yue ihren Kopf, als sie gerade ein kleines Büchlein schloss. Spuren von Ernsthaftigkeit brachen durch ihren gleichgültigen Blick.
„Ähm…“ Rodo war die ganze Situation sehr peinlich. Obwohl stets ein Lächeln auf seinem Gesicht geklebt hatte, war er beide Male, als er etwas sagen wollte, unterbrochen worden.
„Herr Li?“
„Wie kann ich Ihnen helfen?“ Nachdem sie beide schon so lange Zeit voneinander getrennt gewesen waren, verspürte Ji Bai ein unbeschreibbares Gefühl, als seine kleine Schwester ihn mit einem unnahbaren Ton bedachte.
„Ich werde mich auf Sie verlassen.“
„Genau das ist meine Aufgabe.“
………….
Die Garnison des Ritterordens der Strahlenden Ritter in Grenzstadt, vor dem Tor des Außen-Trainingsbereichs:
Inmitten der Arena waren die gefangenen Ritter – nur mit Lumpen am Leibe – an hölzerne Pfähle gebunden. Nur der Eiserne Zaun der Garnison trennte sie von der gewaltigen Masse an Zuschauern, welche das Gelände umgaben.
Viele dieser hatten der sengenden Sonne1 und zahlreicher Hindernisse widerstanden, nur, um die Show, die sich ihnen bieten würde, zu genießen.
Einige in der Menge hatten Hocker mitgebracht, und saßen entspannt dar, während diejenigen, welche ihre Häuser in Eile verlassen hatten, nur niedergeschlagen im brennenden Sonnenlicht2 auf dem Boden sitzen konnten. Einige Leute waren sogar dabei, lautstark Melonen und Limonade zu verkaufen.
Lan Yu hatte für die Richter, ebenso für seine administrative Gruppe im Voraus Sitze aufstellen lassen.
Während er die verzierte Robe eines Generals trug, aß er unter einem Sonnenschirm eine Melone und betrachtete die emsige Menge an Zivilisten, sowie die zu Tode verurteilten, welche vor ihm angebunden waren.
Als ihm der leichte Wind die Beleidigungen und Anschuldigungen, die die Menge den Gefangenen zuwarf, zu seinen Ohren trug, schlich sich ein herablassendes Lächeln auf seine Lippen.
„Geehrter Komtur, die Gesandten des Präsidiums sind noch nicht eingetroffen. Sollen wir einen Boten losschicken, um sie zu drängen?“, fragte Gorm ihn.
„Nicht notwendig. Eine angebundene Gans wird niemals fliegen können. Somit wird derjenige mit der größten Geduld am Schluss der Sieger sein.“, entgegnete Lan Yu, öffnete sich eine Flasche Rotweins und füllte ein Glas damit. Anschließend schwenkte er dieses umher, bevor er sorgsam seinen Geschmack genoss.
„Gorm, wenn du herausfinden solltest, dass die Welt verdorben ist, würdest du sie dann ändern wollen?“
„Hmm?“ Gorm verstand nicht genau, worauf sein Vorgesetzter hinauswollte.
„Haha, die Welt mit meinen eigenen Händen formen zu wollen, ist eine naive Vorstellung! Da die Welt unrein ist, müssen wir dem Strom folgen und die Wellen reiten. Nur, wer unsauberer und schamloser handelt als alle anderen, wird derjenige sein, der am Schluss das letzte Lachen hat.“
„Die Tempel-Vereinigung ist schon seit drei Jahrzehnten als Institution etabliert. Niemand ist in der Lage, weder ihrer tief verwurzelten Basis zu rütteln, noch ihre Position herauszufordern. Da dem so ist… Warte einfach ab. Eines Tages wird sich ein weiterer Bischof den bisherigen zwölf dazugesellen.“