Kapitel 91 – Unbeabsichtigtes Verbrechen
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Kapitel 91 – Unbeabsichtigtes Verbrechen
„Tatsächlich ist Wissenschaft eine Art grundlegender Magie. Wenn man diesen Gedankenstrang fortsetzt, können Dinge, die die Wissenschaft nicht erklären kann, auch von Magie nicht erklärt werden. Sobald man Dinge auf diese Weise sieht, kann man erkennen, dass sowas etwas ganz Normales ist.“
„Anders gesagt hat alles zwei Seiten. Wenn jemand einem unerklärbaren übernatürlichem Phänomen begegnet, sollte man niemals willkürlich über es urteilen; Öfter als nicht ist die Wahrheit nur verborgen.“
„…Möchtest du damit dein Verbrechen rechtfertigen?“, fragte das Mitglied des Disziplinar-Komitees, der gerade dabei war, Ji Bai zu verhören, während er mit akribischer Sorgfalt Ji Bais vorherige Aussagen aufschrieb.
„Ich kann nur wiederholen, was ich gesagt habe: Ich habe kein minderjähriges Mädchen sexuell belästigt! Eine Teleportations-Rolle hat mich dorthin geschickt. Alles ist nur ein Missverständnis.“ Ji Bais Gesicht zeigte Hoffnungslosigkeit, als er seinem Gegenüber auf der anderen Seite der Glas-Scheibe seine Unschuld beteuerte.
„Wer hat dir überhaupt diese Rolle gegeben??“, hakte das Mitglied des Disziplinar-Komitees mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck nach.
„Ähm…“ Ji Bai starrte ins Leere. „Ein Freund.“
„Ein Freund? Etwa einer deiner Mitschüler? Warum sollte der dir überhaupt so einen Gegenstand geben?“
„Hah…“, seufzte Ji Bai. „Junge, hast du noch nie einen großen Traum gehabt?“
„Hä?“
„Seit meiner Kindheit habe ich einen Traum, den ich niemals erreichen kann…“ Mit Bedauern in seinem Blick nahm Ji Bai einen Schluck aus seiner Tee-Tasse. „Und zwar, ein professionaler Läufer zu werden. Doch fehlt mir dazu das Talent.“
Sein Gegenüber schwieg nur und signalisierte ihm, mit seiner Geschichte fortzufahren.
„Und an jenem Tag hat mein Bekannter mich besucht. Er hat mich getestet, die Ergebnisse überprüft, und dann mit ernstem und mitleidserfülltem Blick gesagt: ‚Es wird dir schwerfallen, dich noch weiter zu verbessern. Um doch noch etwas zu erreichen, musst du unlautere Wege einschlagen… Anders gesagt musst du schummeln.‘“
Der Interviewer runzelte die Stirn.
„Er hat mir dann gezeigt, was ich tun könnte – Wie ich mir, indem ich diese Rolle nutze, meinen Kindheitstraum erfüllen kann… Ich habe sie angenommen, ausprobiert und der Rest ist Geschichte.“, beendete Ji Bai mit düsterem Blick seine Erzählung.
„Ich verstehe.“
„Mh? Wirklich?“
Das Mitglied des Disziplinar-Komitees warf Ji Bai einen bedeutungsvollen Blick zu. „Ich bewundere wirklich deinen Mut, so offen zu lügen. Jedoch kannst du vergessen, mich damit zu täuschen. War dein Plan etwa, mich als dumm zu verkaufen? Also, was sagst du nun?“
„N-Nein, wie könnte ich?? Das ist ein Missverständnis! Auch wenn sich meine Worte ziemlich unglaubwürdig anhören, habe ich doch deutlich genug ausgedrückt, was ich wollte, oder?“
‚Mist, ich mache doch nichts anderes als vor ihm eine Show zu veranstalten… Warum kriege ich ihn aber nicht überzeugt?‘
„Hah! Warum würde dich eine Teleportationsrolle dann direkt in das Frauenwohnheim bringen?? Nicht einmal Trolle würden dir diese Geschichte glauben!“, sprach der Interviewer mit einem sarkastischen Lächeln auf den Lippen.
„Warte noch kurz, die Vorsitzende des Disziplinarkomitees1 wird gleich hier sein. Sie hat keinerlei Nachsicht mit Abschaum wie dir!“
Und tatsächlich stieß noch bevor der Hall seiner Stimme verklungen war, eine junge Frau, deren rote Haare in einen langen Pferdeschwanz gebunden waren, die Tür des Raumes auf. Sie trug eine dunkle Ritteruniform und wurde von einem kleinen Mädchen, welches eine Kapuze trug und auf einer tragbaren Konsole spielte, begleitet.
Die Rothaarige hatte ein schönes Gesicht, zudem war ihr Körper auch ziemlich wohl entwickelt. Jedoch konnte sie nicht mit einer gewissen Vampirin, die Ji Bai kannte, konkurrieren. Ihr auffälligstes Merkmal war jedoch das Paar roter Hörner, welcher ihren Vorderkopf zierten und an die einer Kuh erinnerten.
Ji Bai kniff seine Augen zusammen. „Der purpurne Dämonen-Clan…“
Derjenige, der Ji Bai interviewt hatte, stand eilig auf. „Vorsitzende.“
„Ist der hier der Schüler, welcher jenes schamlos widerliche Verbrechen begangen hat?“, fragte die junge Frau mit emotionsloser Stimme, während sie Ji Bai musterte.
„Richtig, genau dieser hier mit dem rüpelhaften Gesicht. Sein Opfer war ein kleines, bedauernswertes, schwaches und hilfloses Neko-Mädchen, welche stets Sympathie ausstrahlt-…“
„He, hey! Was soll denn diese seltsame Beschreibung?“, rief Ji Bai ihm in die Worte. Er konnte dieser Beschreibung, welche allem Anschein nach einer perfekten Gottheit gewidmet war, nicht weiter zuzuhören.
„Nichts weiter als meine Pflicht! Diese Beschreibung der Tat hat das Opfer selbst geschrieben.“, entgegnete ihm der Interviewer mit verächtlichem Blick.
„Hast du es getan?“, fragte die Rothaarige nun Ji Bai, ihre Stimme und Miene immer noch bar jeglicher Emotion; Weder zeigte sie Wut noch Missmut – sie blickte ihn einfach nur regungslos an. Jedoch konnte man hinter ihren Worten einen brodelnden Vulkan fühlen, welcher drohte, jederzeit auszubrechen.
Ji Bai entgegnete ihren Blick ruhig. „Ich habe es getan, aber ich wollte es definitiv nicht. Es ist ein großes Missverständnis.“
„Okay.“, meinte die Vorsitzende des Komitees, nachdem sie seinen Blick mehrere Sekunden lang erwiderte, bevor sie sich an ihren Untergebenen wandte: „Lass ihn frei.“
„Hä?“ Dieser war komplett verwirrt. Er konnte nicht verstehen, wieso seine Vorgesetzte solch einen Straftäter freilassen würde.
„Um ehrlich zu sein, habe ich gehofft, dass es doch mit Absicht gewesen wäre.“, sprach die Rothaarige leise, als sie an Ji Bai vorbeilief.
„Ein Verbrechen ist ein Verbrechen. Dem kannst du nicht Entkommen… Sag mir bloß nicht, du denkst, dass ein unbeabsichtigtes Verbrechen kein Verbrechen wäre? Anderen Schaden zuzufügen, und sich doch moralisch überlegen zu fühlen… Darum verachte ich euch Menschen.“ Nachdem sie ihre Worte beendet hatte, verließ sie den Raum.
Ji Bai konnte nicht anders, als mit gerunzelten Brauen an Ort und Stelle zu bleiben.
Plötzlich traf wie aus dem Nichts ein Handkantenschlag seinen Kopf.
„Au!“
„Du Göre, du machst nichts anderes, als mir den ganzen Tag lang Probleme zu verursachen. Jetzt musste ich dich da rausholen… Bist du etwa mit Absicht ein Unruhestifter?“, dröhnte Lan Yis Stimme in Ji Bais Ohren.
„Hä? Wieso bist du hier?“
„Was soll die dumme Frage?! Wie könntest du nur freikommen, wenn ich nicht hier wäre? Haha, folge mir.“
Ji Bai rieb sich den Kopf. „Hä? Wohin denn?“ Zweifel übersäten sein Gesicht.
„Zur Hochmeisterin unseres Ordens. Wobei ich schon dabei bin, du bist ihr doch immer noch nicht begegnet…“
„Die Hochmeisterin des Ritterordens der Mond-Ritter? Warum soll ich sie denn treffen?“
Lan Yi musterte ihn, als ob sie ein wildes Tier vor sich hätte.
„Dass in diesem Orden so etwas geschieht, ist wirklich einmalig… Denkst du wirklich, dass wir so einen Zwischenfall, der allein deine Schuld ist, einfach so abhaken könnten?“
„…“
„Also gut, starr keine Löcher in die Luft und folge mir endlich.“, sagte Lan Yi, als sie schon begann, vorzulaufen.
„Möchtest du mich etwa nicht fragen, was geschehen ist?“
„Warum sollte ich? Ich weiß doch, dass du selbst das nicht wolltest. Wenn dem nicht so wäre, bin ich mir sicher, dass Ke’er, die ja seit mehreren Tagen mit dir zusammenlebt, schon längst panische Angst vor dir entwickelt hätte.“, entgegnete ihm Lan Yi eiskalt.
„Aber heißt, dass du ein Verbrechen ohne Absicht begangen hast, dass du unschuldig bist? Das Ganze ist nicht so einfach, wie du denkst.“
„…Ich… habe einen Fehler gemacht.“, gab Ji Bai mit gesenktem Kopf zu.
„Das reicht… Spar dir das für die Hochmeisterin auf. Wobei du, denke ich, da nicht allzu nervös sein musst. Sie kümmert sich nicht wirklich um derartiges… Sie muss aber trotzdem die offiziellen Verfahren durchlaufen. Das wars.“, sprach Lan Yi. „Das erinnert mich aber daran, dass ich dich warnen muss, vor ihr vorsichtig mit deinen Worten umzugehen. Die Identität unserer Hochmeisterin ist ein wenig einzigartig – sie ist die Mutter einer Schülerin, mit der du nicht gut auskommst.“
„…Die Mutter…??“ Aus unbekanntem Grund beschlich Ji Bai ein seltsames Gefühl.
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- Ich habe mich mit dieser Übersetzung echt schwergetan. Nachdem ich einige Zeit lang nach einem passenden Begriff aus mittelalterlichen Ritterorden gesucht habe, mit dem ich ‚president of the disciplinary committee‘ übersetzen könnte, bin ich leider bin ich nur auf ‚Vogt‘ als theoretisch möglichen Begriff gestoßen. Den habe ich jedoch schon in einem anderen Kontext verwendet, und bezieht sich eigentlich auf etwas anderes.