Kapitel 24 – Wertlose Jugendliche
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Kapitel 24 – Wertlose Jugendliche
Im Handumdrehen waren 20 Minuten vergangen, in denen Ji Bai an der Bushaltestelle wartete. Die kalte Bank aus Stahl war bereits von seinem Körper erwärmt worden. Ein eisiger Windstoß fegte vorbei, doch regte sich Ji Bai nicht, obwohl er nur ein dünnes Hemd und einen Pullover trug. Sein neutraler Gesichtsausdruck stand im Kontrast mit der ihn einhüllenden Kälte. Ohne sich zu bewegen saß er mit verschränkten Armen auf der eisbedeckten Bank.
Nach einiger Zeit tauchten einige Pendler auf der Haltestelle auf und leisteten ihm Gesellschaft.
An ihrer eher alltäglichen Kleidung und leicht leeren Augen erkannte Ji Bai, dass sie alle einfache Menschen waren. Es war allgemein bekannt, dass diejenigen, die trotz der Kälte des zwölften Kalendermonats arbeiten musste, der Unterschicht angehörten.
Der Grund hierfür war, dass bei diesem scheußlichen Wetter jeder in der eigenen, warmen Wohnung bleiben wollte. Wer würde darauf freiwillig verzichten und die Kälte ertragen, anstatt die Zeit mit der eigenen Familie zu verbringen?
Selbst Ji Bai war nicht vollständig vor der Kälte geschützt; Was also mussten der durchschnittliche Pendler ertragen, der auf seinen Bus wartete? Jeder einzelne von ihnen trug mehrere Schichten an Winterkleidung und doch zitterten sie alle wie Espenlaub.
Ji Bai legte seine Beine übereinander während weitere Zeit verstrich.
……………….
Es war schon einiges an Zeit vergangen. Ji Bais Augen waren auf die Wellen an Menschen fixiert, die in die Busse stiegen.
Nach einiger Zeit war es ihm zu langweilig geworden, also nahm er sich einen Bonbon in die Hand und warf ihn in die Luft, um ihn anschließend wieder zu fangen.
‚Piep! Piep! Piep!…‘ Der Lärm eines Motors, gepaart mit den grellen Schrillen von Notbremsen war zu hören. Ein weiter Bus hielt vor der Haltestelle und einige Passagiere stiegen aus. Die Wartenden, deren Gliedmaßen durch die Kälte taub geworden waren, entspannten sich. Es schien, als ob man ihnen ein schweres Gewicht von der Schulter genommen hätte. Sie eilten zum Bus und bestiegen ihn. Die Anzahl an Aussteigenden war geringer als die neuer Passagiere.
Eine Person, die gerade den Bus durch dessen hinterer Tür verließ, erregte Ji Bais Aufmerksamkeit: Ein Mädchen, das ihm nur zur Schulter ragte. Er vermutete, dass der Mann in westlicher Kleidung neben ihr ihr Vater war.
Doch der vermeintliche Vater überraschte ihn, indem er keine Anzeichen zeigte, gemeinsamen Weges mit dem Mädchen zu gehen. Beide liefen in entgegengesetzte Richtungen, waren sich anscheinend also Fremde.
‚Ein kleines Mädchen reist bei diesem miesen Wetter im Bus, ohne von Angehörigen begleitet zu werden?‘
Das Mädchen schien seine erstaunten Blicke nicht zu bemerken oder kümmerte sich nicht um sie. Sie kaute auf etwas herum, ihr Gesicht war regungslos. Sie musterte die Haltestelle und ging anschließend ohne Hast zu einem Stützpfeiler. Gegen den lehnte sie sich mit vor ihrer Brust verschränkten Armen.
Ji Bai fühlte einen eisigen Schauer seine Wirbelsäule herunterlaufen, als er Kleidung der Kleinen bemerkte.
Sie trug ein weißes Kleid, dass ihre Arme frei ließ, sie also vollständig den Elementen dieses kalten Wintertages aussetzte. Auch ihre Beine waren nicht bedeckt, sie trug nicht einmal Strümpfe, die sie vor der Kälte schützen könnten. An ihren Füßen waren nur Sandalen, jeder ihrer Zehen war entblößt.
An sich war ihre Kleidung bezaubernd. Doch im Winter rief sie einzig Erstaunen hervor und war eine Kuriosität. Nicht nur Ji Bai war von diesem Phänomen betroffen; Sogar Passanten, die einzig ihre Beine erblickt hatten, war Staunen an ihren Gesichtern abzulesen.
Das Mädchen selbst schien die auf sie gerichteten Blicke nicht zu bemerken. Sie kaute einfach weiter auf ihrem Kaugummi herum und formte mit diesem Blasen.
‚Sind Kinder heutzutage aus Stahl? Ok, vielleicht bin ich wirklich senil geworden…‘
Ji Bai seufzte tief und sah zum Bonbon in seiner Hand. Noch nie hatte er Süßigkeiten gemocht und konnte sich daher nicht dazu bringen, den Bonbon zu essen. Aber er wäre auch zu schade, um weggeschmissen zu werden.
Langsam konnte er die Langeweile nicht mehr aushalten. Er sah sich erneut um und sein Blick stoppte auf dem Mädchen in seiner Nähe. „Hey, Kleine. Ich habe hier einen Bonbon, möchtest du ihn vielleicht…“ Ji Bai trat auf sie zu und zeigte ihr sein freundlichstes Lächeln. Er sah nun garantiert wie ein netter, vertrauenswürdiger Nachbar aus (In seiner eigenen Vorstellung!).
Doch bevor er zu Ende reden konnte, erschien ein verächtliches Lächeln auf den Lippen des Mädchens, als sie den Bonbon sah. „Denkst du ernsthaft, dass dieser antike Anmachspruch bei mir funktioniert? Blick doch mal in einen Spiegel, Onkel. Kannst du den Mist nicht lassen und mir was Besseres anbieten?“
Was ihre Worte aussagen wollte, wurde deutlich, als sie sich die Finger rieb.
‚??? Entschuldigung? Was zum fiii-?‘
`Sie… Was hat sie gerade gesagt? Habe ich mich verhört?‘
Der Augenblick zwang ihn, die Wahrheiten dieses Universums zu ergründen. Er war gefangen in einer endlosen Schleife an kreisenden Gedanken:
‚Gab es zuerst das Huhn oder das Ei? Wenn es das Ei war, wo kam es dann her? Und was für ein Wesen, war vor dem Huhn da?‘
Gerade, als Ji Bais Gedanken bei der Frage angekommen waren, ob er nicht mehr mit den aktuellen Entwicklungen mithalten könnte oder die Leute sich einfach nur freier ausdrückten als früher, ertönte das Klingeln eines Handys in seiner Tasche.
„…Hallo? Bist du es, Lin Tuo?“ In diesem Augenblick wünschte sich Ji Bai nichts sehnlicher als eine Zigarette. Doch konnte ein Verarmter, wie er es war, sich so etwas nicht leisten. Er konnte nur so tun, eine in der Hand zu halten oder eine zwischen den Lippen zu haben.
Lin Tuos Stimme ertönte aus dem Lautsprecher. „Hallo? Kannst du mich hören?“
„Mhm, ich denke schon.“, antworte Ji Bai, nachdem er tief ausgeatmet hatte.
Lin Tuo erkannte, dass sein Gesprächspartner anders als sonst klang. „…Hä? Junge, du klingst etwas seltsam. Hat dir jemand das Herz gebrochen?“ Aber als er an Ji Bais Geiz und sein Verhalten zurückdachte, erkannte er, dass es sinnlos war, sich um ihn zu sorgen. Es würde ohnehin niemand seine Freundin werden wollen.
„Nein, nichts derartiges. Ich musste nur daran denken, dass die Sieger die Geschichte schreiben.“ Als er in Richtung des Mädchens neben sich sah, fühlte sich Ji Bai alt. Das muntere, junge und leidenschaftliche Blut der Leute aus seiner Zeit war bereits ausgetrocknet.
„??? Was zum Teufel redest du da, Junge? Du bist ganz wirr… Ah, Was solls! Vergiss es, ich möchte dir zu sagen, dass die Person, die dich empfangen soll, auf dem Weg ist. Hmm… Sie dürfte wahrscheinlich schon ganz in deiner Nähe sein.“
„Oh.“, entgegnete Ji Bai gleichgültig. Seine Melancholie und Klage unter Kontrolle haltend, seufzte er tief.
„Sie ist ganz leicht zu erkennen, wenn du nicht gerade blind bist. Sie sieht aus wie eine Zwölfjährige, die ein dünnes, weißes Kleid trägt… Hallo? Hörst du mir zu?“
„…“ Ji Bai antwortete nicht. Die Beschreibung hatte ihn in eine Trance versetzt. Er blickte in Richtung des Mädchens, das, wenn er sich nicht täuschte, gerade auch ihn betrachtete.