Kapitel 74 – Bericht
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Kapitel 74 – Bericht
Die ‚Hoffnungs-Grunschule‘, in dem Arbeitszimmer eines kleinen Wohnhauses in einem westlichen Stil, welches am Rande des Geländes stand:
„Mhm, das ist also – mehr oder weniger – die Situation… Wobei wir dabei sind, meine liebe Yi-Yi, ich habe da eine dreiste Frage für dich…“ Lin Tuo rieb sich mit einschleimendem Gesichtsausdruck die Hände.
„Und ich habe da so einige Boxtechniken, die ich gerade erst gelernt habe.“, erwiderte Lan Yi ihm mit geballten Fäusten.
„Ähh…“ Lin Tuo öffnete kurz den Mund und schluckte angesichts der Ablehnung, die er erfahren hatte, die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, herunter.
„Was meint ihr dazu, Hochmeisterin?“, wandte sich Lan Yi nun mit fragendem Gesichtsausdruck an die dritte Person im Raum.
„Hey! Ahh! Hey! Weißt du überhaupt, wie man einen Sniper spielt? Warum bist du mit so wenigen HP vorgestürmt? Wie viele Pinguin-Coins1 geben dir die Gegner denn? Und du in der Mid-Lane! Ist deine Ulti etwa ein Familienerbstück oder sowas in der Art? Warum hälst‘ du an ihr fest und nutzt sie überhaupt nicht?!“, rief ein Mädchen, welches mit Katzenohren verzierte Kopfhörer trug, aus. Sie saß mit gekreuzten Beinen auf einem nahen Sessel und sprach ununterbrochen taktische Befehle in ihr Ip*d. Ihre kindliche Stimme klang den anderen Anwesenden überhaupt nicht nervig. Stattdessen war es gar vorstellbar, dass irgendein Mann mittleren Alters mit seltsamen Hobbies ihr gar Geld zahlen würde, damit sie ihn beschimpft.
Ihre zarten Oberschenkel gekreuzt und mit nach innen gerichteten Füßen hockte sie nach vorne gebeugt auf ihren Sessel.
„Ha, ha, ha. Reicht dir das?“, grinste Lan Yi.
„Ähem-! Äh! W-Was meist du!? Ich, Lin Tuo, bin nichts anderes als ein aufrechter Gentleman! Solange mich eine gewisse Lan Yi nicht wieder ansieht, werde ich auch keine roten Linien überschreiten!“ Lin Tuos Worte trugen wahrhafte Aufrichtigkeit in sich und sein Gesicht strahlte praktisch vor heroischer Gerechtigkeit. Wenn Lan Yi nicht seine Augen, die flüchtig in die Ferne sahen, gesehen hätte, hätte sie ihm vielleicht sogar geglaubt.
„Jungler! Stirb doch einfach im Jungel! Guck doch mal auf die Zeit! Du hast nur einige wenige Minions ausgeschaltet! Ich hingegen- …Hää? Warum habe ich keinen Ton mehr?“ Ohne auch nur einen Schluck Wasser zu trinken, hatte Anna eine gesamte Stunde lang taktische Befehle gerufen. Als sie nun auf ihren Kopf griff, merkte sie, dass sie ihre Kopfhörer nicht mehr trug.
„Ahhh~! Lan Yiii~ Los, gib mir meine Kopfhörer zurück! Das Gegnerteam wird uns mit Nashor überrennen2! Mein Team wird es niemals schaffen, ohne meine unterstützende Stimme zu siegen~“, bettelte Anna Lan Yi an. Die Verletztheit in ihren tränenüberströmten Augen wären in der Lage, jeden Mitleid für sie empfinden zu lassen.
Lan Yis Augen jedoch waren zu dünnen Schlitzen zusammengekniffen. „…Es scheint mir, dass ich Euer Ip*d konfiszieren muss.“
„Uhh~ Uhhh~! Bitte nicht! Das kleine Teil ist die Hälfte meines Lebens… Nein! Es ist 90% meines Lebens! Wenn du es mir wegnimmst, weiß ich nicht, wie ich überleben kann!~“
„…Wie konntet Ihr nur so enden?“, seufzte Lan Yi und hielt sich entgeistert die Stirn, als sie sah, wie Anna zusammengekauert und tränenerfüllt in einer Ecke des Raumes ihr Ip*d umklammerte.
‚Als sie das erste Mal ankam, war sie überhaupt nicht so gewesen… Sind die Auswirkungen der Umwelt auf lebende Wesen wirklich so stark? Dass selbst Vampire betroffen sind?‘
„Also schön. Setzt Euch doch wieder hin. Ich werde Euch Euer Ip*d schon nicht wegnehmen, aber Ihr könnt Eure Kopfhörer jetzt nicht tragen. Setzt Euch einfach hin und hört uns zu, während Ihr Euer Spiel spielt.“, versuchte Lan Yi – angesichts ihrer nervigen Vorgesetzten, die sowohl auf Strafen und Schelte nicht ansprach – einen Kompromiss zu finden.
„Wirklich?“, fragte Anna, mühselig dabei scheiternd, ihre Tränen zurückzuhalten.
„Möchtet Ihr etwa, dass ich das vertraglich festhalte?“, entgegnete ihr Lan Yi. Sie war sichtlich erzürnt über die Unruhe, die Anna verursacht hatte.
Doch Anna blieb weiter in ihrer Ecke und war nicht bereit, sie zu verlassen. Egal, was Lan Yi gesagt hatte. „Ja~“
„Ihr seid wirklich…“, fing Lan Yi an, unterbrach sich jedoch selbst und trat an Annas Seite. Anschließend hob sie ihre Vorgesetzte wie einen Sandsack auf und platzierte sie wieder auf ihrem Sessel.
„…“ Angesichts des Schauspieles, welches sich ihm bot, zuckten Lin Tuos Mundwinkel unwillkürlich.
„Wie hoch waren die Verluste während der Mission?“, fuhr Lan Yi mit einer Frage an Lin Tuo fort, ohne weiter auf das schmollende Mädchen neben sich zu achten.
„Was die Verluste angeht, so war das Glück uns hold. Es haben ein paar unserer Ritter leichte Verletzungen davongetragen. Und weniger als fünf Ritter wurde wirklich schwer verletzt. Auch wenn sie nur kurze Zeit lang auf dem Schlachtfeld waren, haben unsere Truppen ihre Mission zur vollsten Zufriedenheit erfüllt und den Angriff der Trolle auf Grenzstadt vereitelt.“, trug Lin Tuo entschlossen vor.
Anna bediente weiterhin ihr Ip*d und gähnte laut.
„Gibt es also nichts Besonderes, von dem du berichten musst?“
„An sich nichts wirklich… Aber wenn ich doch etwas vorbringen könnte, dann vielleicht der Zwischenfall, dass eine kleine Vampirin mitten auf das Schlachtfeld gestürmt ist. Vielmehr war sie sogar ein Mitglied der königlichen Familie. Glücklicherweise aber war sie auf unserer Seite.“
„Eine Vampirin der königlichen Familie?“ Lan Yi blickte unwillkürlich in Richtung von Anna, welche immer noch auf ihrem Sessel schmollte. Jedoch machte sie sich keine Hoffnung, dass Anna die Vampirin kannte oder sogar eine enge Beziehung zu ihr hatte.
„Bist du dir sicher, dass du sie nicht mit was anderem verwechselt hast? Die königliche Familie der Vampire ist sowieso schon klein genug. Und es ist sehr unwahrscheinlich, dass eines ihrer Mitglieder in einer Stadt der Menschlichen Allianz auftaucht.“
„Oh, liebe Yi-Yi, ich würde nie so einen Fehler machen. So, wie ihr reines, silbernes Haar geglänzt hatte, wäre es mir nicht einmal möglich gewesen, sie für etwas anderes zu halten, wenn ich es gewollt hätte!“
„…Ahhhh! Ich habe Hunger~! Ich bin einfach nur noch wütend!~“, rief Anna mit aufgeblasenen Wangen.
„Ich habe verloren… Ah, ach ja…“ Anna legte ihr Ip*d zur Seite und begann, ihre Beine hin und her-baumeln zu lassen. „Wo wir schon dabei sind, welche Frisur trug die Vampirin, der du begegnet bist? Es könnte sein, dass ich sie kenne~“
„Hochmeisterin…?“, fragte eine überraschte Lan Yi mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie hatte doch gerade erst noch gesehen, dass der Kristall von Annas Team im Spiel noch intakt gewesen war. Da Anna eine Anhängerin des Ideals ‚bis zum Äußersten zu Kämpfen‘ war, kam es Lan Yi äußerst seltsam vor, wie schnell ihre Vorgesetzte ihr Ip*d ausgeschaltet hatte.
„Äh? Ihre Frisur? …Ich glaube Zwillingszöpfe. …Denke ich? Mhm, das sollte richtig sein. Ich habe während des Kampfes nicht groß darauf geachtet.“
„Oh, ist dem so~? Hehehe, in dem Fall war das jetzt doch alles Relevante, oder?“
„Mhm, das war mehr oder weniger alles.“
„Okay~“, nickte Anna, griff in eine Tasche ihres Nachthemdes und nahm zwei Haarklammern, die wie Fledermausflügel geformt waren, heraus. Anschließend begann sie, ihre Haare zu kämmen und zu organisieren.
„Tada!“, rief Anna, nachdem sie die Haarklammern genutzt hatte, um ihre Haare zu Zwillingsschwänzen zusammen zu binden. „Und, Lin Tuo? Wie sehe ich aus?“, fragte sie diesen mit einem süßen Lächeln.
„Einfach nur süß, es passt Euch einfach nur perfekt!“ Doch erst, nachdem er dies gesagt hatte, fiel Lin Tuo wieder ein, dass Lan Yi neben ihm stand. „…Ahhh, bitte nicht! Yi-Yi, bitte hör mir erstmal zu!“, versuchte er, sich selbst zu retten.
Jedoch war er nicht der Fokus der Aufmerksamkeit seiner Kollegin; Lan Yi war an Annas neuer Frisur interessiert. Sie fühlte sich aus ihrer Sicht ziemlich erfrischend an. Schließlich hatte sie Anna fast noch nie mit Zwillingszöpfen gesehen.
„Mhm~ Alles ist in Ordnung, solange es mir steht.“, lächelte Anna zufrieden und sprang von ihrem Sessel. „Da ihr also fertig mit dem Bericht seid, warum lassen wir es nicht für heute sein?“ Sie griff sich wieder ihr Ip*d, drückte es fest an ihren Körper und verließ mit einigen Hüpfern das Arbeitszimmer.
Leicht verblüfft starrte Lin Tuo ihr hinterher. Ihm kam es so vor, als ob er eine der ihren ähnliche Silhouette schon einmal gesehen hatte, jene sich aber doch gewissermaßen von der in seiner Erinnerung unterschied.