Kapitel 45 – Du siehst ziemlich furchterregend aus
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Kapitel 45 – Du siehst ziemlich furchterregend aus
„Was ist das? Ein Erdbeben?“
„Ein Erdbeben! Rennt!“
„Bastard! Denkst du wirklich, ohne zu zahlen davon zu kommen? Bleib stehen, du Dieb!“, schrie ein Schlachter, als er sah, wie sich der Kunde, der gerade mit ihm gefeilscht hatte, mit einigem Fleisch davonmachen wollte. Schäumend vor Wut ergriff er ein Hackbeil, das noch in einer Schweine-Hälfte steckte und rannte dem Flüchtigen hinterher.
Überall waren ähnlich chaotische Szenen zu sehen, zahlreiche Menschen wirbelten wie Schwärme aufgeschreckter Fliegen durcheinander. Die Leute konnten in drei Gruppen unterteilt werden: Diejenigen, die wegrannten, Kinder, die nach ihren Eltern riefen und diejenigen, welche sich panisch schreiend an anderen festklammerten.
Inmitten dieses Chaos, nahm ein unberührter Ji Bai genüsslich einen Schluck von dem Zitronentee in seiner Hand.
Aus seiner Sicht waren die Panikierenden einfache Bürger, die an ein ruhiges Leben gewöhnt waren. Sie hatten bereits den Sinn für Notlagen und das Urteilsvermögen, welche die Menschheit beides zu Beginn des Krieges mit den Dämonen erlangt hatte, verloren.
Eigentlich hätten diejenigen, die zumindest das kleinste Bisschen an Erfahrung und Hirn besaßen, bereits bemerken müssen, dass der Ort, an dem die Katastrophe geschehen war, in einiger Entfernung lag. Was sie hier gespürt hatten, waren nur die schwachen Nachwirkungen des Ereignisses. So oder so gab es keinerlei Gefahr. Schließlich wurden sie alle von der Bunkerähnlichkeit dieses unterirdischen Marktes geschützt. Im Gegensatz zu dem Schwarm an Ängstlichen war Ji Bai eher über den Ort und die genaue Art des Zwischenfalls besorgt. Ebenso die Frage, ob die dortigen Bürger bereits evakuiert worden waren.
Nach kurzem Überlegen entschied er sich, das selbst zu überprüfen.
„Warte.“, forderte Lin ihn auf, nachdem er gerade an ihr vorbeigelaufen war.
„Stör mich nicht und frag bloß nicht, was ich vorhabe. Ich habe zu tun.“, entgegnete er ruhig, aber entschlossen.
„Das ist doch egal! Lass einfach die Einkaufsbeutel hier, wir haben schließlich schon bezahlt.“
Lins Worte ließen Ji Bai beinahe stolpern. Nach Worten ringend drehte er sich um und drückte ihr die Einkaufsbeutel in die Hände.
„Mach bloß nichts Unüberlegtes! Ich werde dir niemals vergeben, solltest du deine Hände an die Unschuldigen hier legen!
„Was für ein widerlicher Heuchler.“, entgegnete Lin mit leicht hochgezogenen Lippen.
………….
Etwas weniger als fünf Minuten, nachdem Ji Bai den Markt verlassen hatte, fiel den aufgeschreckten Bürgern wieder ein, dass der Ort einen Ausgang hatte. Wie eine menschliche Well schwappte ihre Masse an Körpern zu diesem und verstopfte ihn so sehr, dass sich nicht eine Person durchkämpfen konnte.
Lin seufzte tief. Sie würde diesen Ort wohl für einige Zeit nicht mehr verlassen können. Jedenfalls ließ, wie der menschliche Korken gerade den Ausgang verstopfte, dies so erscheinen. Also konnte sie fürs erste nur warten.
Doch eine Reihe lauter, knackender Geräusche übertönte plötzlich das Chaos. Einiges an Staub und Bruchstücken rieselte von der Decke herab und es zeigten sich einige bedrohliche Risse auf einem Stützpfeiler.
Lin runzelte leicht die Brauen. Sie beschlich das Gefühl, dass die Situation doch mehr war, als sie erwartet hatte.
Genau wie Ji Bai war auch sie davon überzeugt gewesen, dass die Nachwirkungen dessen, was die Erschütterungen verursacht hatte, eigentlich diesem Gebäude nicht schaden könnten und, dass die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Kunden eigentlich genug wären. Doch ließ sie die unerwartete Schwere der Schäden nun an ihrer Überzeugung zweifeln.
Weiteres Knacken, weitere reißende Geräusche erreichten ihr Ohr, bevor der sechs Meter hohe Pfeiler, groß genug, um duzende fragile Menschen zu begraben, begann, zu fallen.
„Ahhh!! H-Hilfe!“
„Weg! Steh mir nicht im Weg! Wir werden alle sterben!!“
„Rennt! Wenn ihr nicht sterben wollt, dann weg hier! Haltet mich nicht auf!“
Man kann sagen, dass Menschen mit ihrem starken Lebenswillen unter lebensbedrohlichen Umständen Fähigkeiten zeigen, die normalerweise tief verborgen lagen und ihre eigentlichen Möglichkeiten bei weitem übersteigen. Als der mächtige Schatten auf sie fiel, hatten es binnen kürzester Zeit fast alle geschafft, sich blitzschnell in Sicherheit zu bringen.
Lins Augen verengten sich: „Mist!“ Da, wo der Pfeiler gleich auf dem Boden aufschlagen würde, knieten zwei unbegleitete Kinder. Beide heulten wie Schlosshunde.
‚Was tun? Zu wenig Zeit… Ich kann ihnen aber nicht einfach beim Sterben zusehen!‘
Sie biss sich auf ihre Lippe. Einige Tropfen Blut fielen zu Boden.
Unbeeindruckt prallte der Pfeiler auf. Schockiert fielen die Umherstehenden Menschen reihenweise in Ohnmacht.
Lin seufzte erleichtert. Das schwere Objekt hatte nicht den Boden getroffen, da eine mächtige Hand den Pfeiler aufgehalten hatte, bevor er die beiden Kinder zerquetschen konnte. Als sich der Staub legte, wurde eine drei Meter hohe Silhouette langsam sichtbar.
„Huo Lei? Was machst du denn hier?“, fragte sie erstaunt, als sie ihre Krallen, die blutige Spuren auf ihren Beinen hinterlassen hatte, zurückzog und langsam auf den Troll zuging.
„Unser Ausbilder war besorgt, dass ihr beide auf offener Straße kämpfen würdet. Daher hat er mich euch heimlich folgen lassen… So oder so scheine ich im genau richtigen Augenblick hier angekommen zu sein.“, antwortete Huo Lei lässig, immer noch den schweren Pfeiler mit einer Hand haltend. Anschließend ließ er das Objekt vorsichtig zur Seite fallen. Ohne weitere Schäden zu verursachen, prallte es auf den Boden und zerbrach in mehrere Stücke.
„Ja, genau der richtige Moment. Aber ich muss dich leider doch darum bitten, fürs erste wieder zu verschwinden.“, seufzte Lin leicht hilflos.
„Hä? Wieso? Ich habe doch helfen können, nicht wahr?“, wunderte sich ihr Gegenüber mit unschuldigem Gesichtsausdruck.
„Das Bild, was Menschen von dir haben, ist kein gutes. Du bringst die Beiden nur zum Heulen.“, erklärte Lin und deutete dabei auf die armen zwei Kinder hinter Huo Lei, welche sich gegenseitig panisch und tränenüberströmt umklammerten.
„Ähm… Wie kann das meine Schuld sein… Eigentlich sind doch meine Eltern daran schuld, dass ich so furchterregend aussehe, oder?“ Doch die Kinder heulten nur umso stärker, als er sich umdrehte und sie sein Gesicht erblickten. Ein verletzter Ausdruck legte sich über dieses und der Troll fasste sich ans Herz.
„Überlass das hier mir und geh am besten zurück und erwarte weitere Befehle. Ich rate dir, in Zukunft nur mit einem wichtigen Grund die Basis zu verlassen. Ein Troll mitten in einer Menschenstadt wird so oder so einiges an Panik verursachen… Aber es sieht ohnehin so aus, als ob hier in Grenzstadt einiges los ist. Die Leute in der Basis müssten schon besser Bescheid wissen.“ Lin kniff ihre Augen zusammen und versuchte, auf der anderen Seite des Ausgangs etwas zu erkennen.