Kapitel 42 – Wie du mir, so ich dir
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Kapitel 42 – Wie du mir, so ich dir
„Aha? Obwohl du selbst schuld bist, möchtest du um Hilfe rufen? Ich glaube, ich muss dir eine Lektion erteilen, du kleine Betrügerin!“, sagte Ji Bai mit einem bösen Grinsen auf seinen Lippen. Noch immer hielt er das Handgelenk des kleinen Mädchens fest im Griff.
„Lass sie los, Kakerlake. Du bist nicht mehr in deinem alten Ritterorden, in dem du machen kannst, was auch immer du möchtest.“, mischte sich Lin ein. Ihr ruhiger und einschneidender Blick war fest auf Ji Bais Rücken fokussiert.
„Hmm? Das machen, was ich möchte? Hast du nicht kapiert, was hier los ist, Parasit? Ich bin hier der Gute! Mach dich nicht lächerlich.“
Lin stand langsam von ihrem Stuhl auf. „Was los ist? Mich interessieren deine seltsamen Fetische nicht. Aber ich weiß, dass Leute, die in der Lage sind, ihre Hände an Kinder zu legen, hier nicht erwünscht sind.“ In ihren Augen lag die Stille eines Teiches und ihr silberner Pferdeschwanz, der ihr bis zur schlanken Taille reichte, wehte in einem unsichtbaren Wind.
Auch der rothaarige Troll, der dem ganzen Schauspiel unfreiwillig zusehen musste, sprang nun von seinem Sitzplatz und brachte damit den gesamten Raum zum Beben. Staub rieselte leicht von der Decke.
„Du, bist du ein Ritter der Menschen?“, ertönte seine tiefe und mächtige Stimme mit einer Spur von Heiserkeit.
Mit leicht zugekniffenen Augen, die wie die einer Raubkatze wirkten, schätzte er Ji Bai ab.
Seine Größe von ungefähr 3 Metern ließ seinen Kopf fast gegen die Decke stoßen und strahlte einen Druck aus, der denjenigen, die ihm nahestanden, die Luft raubte.
Sobald sie merkte, dass Ji Bais Aufmerksamkeit nicht mehr auf ihr lag, erkannte das goldhaarige Katzenmädchen ihre Chance und biss ihm in die Hand. Mit aller Macht befreite sie sich von dem Griff des Perversen und rannte so schnell sie konnte in Richtung Sicherheit. Ihr Angriff hatte eine deutliche Spur an Ji Bais Handgelenk hinterlassen.
Als sie hinter Lins Rücken in Deckung war, murmelte die Kleine Neko zahlreiche Beschwerden zu sich; Doch vergaß sie nicht, Ji Bai triumphierend anzusehen und ihm die Zunge rauszustrecken. Nun, da sie sich Unterstützer gesichert hatte, fühlte sie sich unbesiegbar.
Ji Bai blickte kurz auf die Bisspur an seiner Hand, bevor er sie ignorierte und sich dem Troll zuwandte. Schließlich hatte er nicht vorgehabt, das Mädchen, welches auf der falschen Bahn war, wirklich zu bestrafen. Höchstens hätte er ihr die Regeln der Gesellschaft erklärt1. „Ich war ein Ritter. Gibt’s ein Problem damit?“
„Ein Ritter darf sein Schwert niemals auf Frauen, Kinder oder Ältere richten. Das ist eine der Doktrinen, die der ‚Strahlende Ritter-König‘ eingeführt hat… Aber es scheint, dass du dieser Regel nur vordergründig folgst.“ Die tiefe Stimme des sein Gesicht verziehenden Trolls sprach von einem wachen Intellekt. Sein prüfender Blick lag fest auf Ji Bai.
Dessen Gesichtsausdruck machte einen subtilen Wandel durch. Niemals wäre es ihm in den Geist gekommen, einmal von einem Troll über den Ritterschwur belehrt zu werden. Was war los, wandelte sich die Welt so schnell, dass er den Anschluss verloren hatte?
Ein weiteres Mal sah er in Richtung Lin, die seinen Blick mit Eiseskälte erwiderte.
‚Habe ich es tatsächlich geschafft, schon am ersten Schultag von meinen Klassenkameraden gehasst zu werden?‘, fragte er sich verwundert.
„Ähm, L-Leute, dürfte ich bitte eine Sache sagen?“, mischte sich nun auch der komplett verängstigte Scharlatan ein, als er sah, dass Feindseligkeit den gesamten Raum überflutet hatte und winkte leicht mit seiner Hand; Wie, um alle Anwesenden an seine Existenz zu erinnern.
„Ha… Also, wir alle sind doch in derselben Klasse und werden uns noch häufiger sehen. Also sollten wir uns doch als Klassenkameraden zusammensetzen und diese Situation lösen, oder? Ahahaha…“
„…“
Voller Feindseligkeit starrten sich Ji Bai und Lin weiterhin an. Die angespannte Atmosphäre zwischen ihnen war schon fast greifbar.
„Möchtest du dich etwa wieder gegen mich stellen?“
„Halte deine Wahnvorstellungen im Zaum! Ihr Vampire seid einfach nur eine barbarische Spezies! Ihr tut doch immer nur das, was euren egoistischen Wünschen entspringt.“
„Ähhh…“ Als der Scharlatan zusehen musste, wie sein Versuch, die Stimmung zu schlichten, im Nichts verhallte – besser gesagt komplett ignoriert wurde – fror sein Lächeln ein. Entmutigt zog er sich in eine Ecke der Klasse zurück und versuchte, im Boden zu versinken.
„Oh?“ Genau zum rechten Zeitpunkt betrat Lin Tuo den Raum und wurde mit dem Schauspiel konfrontiert. „Es scheint jeder anwesend zu sein. Wie schön… Heute werden wir mit dem Unterricht beginnen…. Ähem… Was macht ihr eigentlich alle gerade? Spielt ihr Gwent?“
Es dauerte nicht lange, bis er die Spannung, die in der Luft lag, bemerkte. Seine Hand, die das Klassenbuch hielt, begann, leicht zu zittern.
Im Zentrum der Unruhe standen ein Mann und eine junge Frau, die sich tödliche Blicke zuwarfen und beide nicht zurückweichen wollten. Es war klar, dass nur der ein Tod eines der beiden diese Lage entschärfen könnte.
‚Oh mein Gott! Wer hat denn diese beiden Zeitbomben in dieselbe Klasse gepackt!?‘ Lin Tuos Mundwinkel zuckten leicht und Bauchschmerzen begannen, ihn zu plagen.
„Hust, hust… Okay, okay. Es ist Zeit, dass der Unterricht beginnt. Bitte geht zurück auf eure Plätze. Hust, hust, bitte macht, was eurer Lehrer euch sagt, okay?“
Lin gehorchte ihm sofort, wandte sich augenverdrehend von Ji Bai ab und tröstete sanft das Mädchen, dass in ihrem Schatten Schutz gesucht hatte.
„Vielen Dank~ Uhhh~“, weinte sich die Kleine an Lin aus. Trotz ihres meisterhaften, mitleidserweckenden Schauspiels vergaß sie nicht, ein weiteres Mal Ji Bai die Zunge rauszustrecken. Anschließend setzte sich auf einen Platz neben Lins.
Auch der Troll nickte kurz und setzte sich auf seinen Tisch, dessen Beine wieder auf Grund der Belastung anfingen, knarrend zu zittern.
Ji Bai hingegen runzelte die Brauen: „Der gebildete Ganove? Warum bist du hier?“
„Ähem! Junge! Kannst du nicht einmal deinem Lehrer Respekt zeigen? Ich bin euer Lehrer und für die Klasse hier verantwortlich! Kannst du bitte auch nur ein bisschen Höflichkeit zeigen?“
„Ok…“, entgegnete Ji Bai mit einer Stimme bar jeglicher Emotionen, gab Lin Tuo, dessen Verhalte mal wieder seine übliche Eigenart erreicht hatte, einen komplizierten Blick und kehrte zu seinem eigenen Platz zurück.
Lin Tuo begann, die Schüler zu zählen: „Also gut. Es sind vier Leute anwesend, also wohl alle Schüler dieser Klasse.“
„Ähm… S-sie haben mich vergessen!“, machte jemand im Schatten einer Ecke des Zimmers auf sich aufmerksam.
„Hä? Oh, stimmt. Also fünf Schüler…“, sagte Lin Tuo peinlich berührt. „Wie heißt du, junger Daoisten-Priester2?“
„Ich…“ Dem jungen Mann mit Pferdeschwanz, der tatsächlich wie ein Priester, der Kampfkünste beherrschte, gekleidet war, rollten schon fast Tränen die Wangen herunter.
„Pian Zi, ich heiße Pian Zi3.“
„Oh… Okay, es ist wohl auch so jemand hier auf der Liste.“, stellte Lin Tuo fest, als er sich noch einmal die Namensliste der Klasse ansah.
„Nun gut, da dies für jeden hier die erste Unterrichtsstunde ist, lasst mich mich vorstellen. Ich heiße Lin Mingtuo und bin euer Klassenlehrer. Ich hoffe, dass wir gut zurechtkommen werden, schließlich werden wir viel miteinander zu tun haben… Ich denke, dass ihr alle euch auch zum ersten Mal getroffen habt, nicht wahr? Also schlage ich vor, dass ihr euch alle erstmal vorstellt. Ich glaube Koll-“, schnell korrigierte er seinen Fehler: „Schülerin Lin kann wohl beginnen.“
„In Ordnung.“, nickte Lin höflich. Sie platzierte ihre Hand auf ihrer – wohl entwickelten – Brust und verbeugte sich leicht in einer Schaustellung adeliger Etikette.
„Tch… Was für unnötige Säcke an Fett.“, murmelte Ji Bai zu sich und rollte die Augen4
„Mein Name ist Lin und ich bin eine Vampirin. Ich hoffe, wir werden gut zurechtkommen.“ Anschließend setzte sich die Vampirin wieder.
Als nächstes stand der Troll auf und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. „Ich bin Huo Leio, ein Troll. Mit dem Ziel, den Pfad des Ritters zu beschreiten, bin ich hierhergekommen, um mich weiterzubilden.“ Mit einer Faust schlug er sich einmal auf seine Brust.
Nun stand das goldhaarige Katzenmädchen in ihrem hellen Kleid auf und vollzog einen Gruß, der einen an eine neckende Katze denken ließ: „Hallo, alle~ Ihr könnt mich gerne ‚Xiaosha5‘ nennen und ich bin eine Neko~ Vielen Dank ~“
‚Tch, obwohl beide Nekos sind… Wieso sind sie so unterschiedlich?‘ Ji Bais Herz war voller Verachtung, als er über diese Frage sinnierte.
Nun war aber er am Zug musste aufstehen. Kurz ließ er sein Blick über die anderen im Raum schweifen, welche ihn mit unterschiedlichsten Blicken betrachteten und sagte mit betonter Lässigkeit: „Ji Bai, ein Mensch.“
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- Eigentlich wären es „the 24 words that made up the core of a socialist society“ gewesen, jedoch wollte ich in dieser Übersetzung auf eine Formulierung, die derartig spezifisch für die Volksrepublik China ist, verzichten.
- An dieser Stelle verlinke ich einfach mal den Link zum Wikipedia-Artikel des Daoismus
- Anscheinend kommt die Aussprache des Namens im Chinesischen der der Wörter ‚Lügner‘ und ‚Typ mit Pferdeschwanz‘ nahe.
- Wie auch schon im letzten Kapitel spricht da wohl der Neid XD
- Dies würde eigentlich ‚kleine Sha‘ im Deutschen heißen (Lil‘ Sha auf Englisch), aber mir kam es sinnvoller vor, diese ‚chinesische‘ Form ihres Namens zu nutzen.