Kapitel 81 – Schwester
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Kapitel 81 – Schwester
Am frühen Morgen setzten sich einige Gefangenentransporter in Bewegung und fuhren die Hauptstraße in quälend langsamer Geschwindigkeit entlang. In ihnen lehnten jeweils mindestens zwei Gefangene an hölzernen Geländern.
Ihnen allen waren ihre Hände hinter den Rücken gefesselt und Leere füllte ihre Augen. Ihre fettigen Haare fielen ihnen durcheinander in ihre Gesichter, auf denen teilweise Blut klebte. Insgesamt erschienen sie wie einfache Bettler auf der Straße.
Die lange Fahrzeugkolonne erregte natürlich die Aufmerksamkeit von Passanten. Als diese die Beschriftung der Fahrzeuge sahen, füllten ihre Blicke sich mit Hass und Verachtung.
„Verräter an der Menschheit!“ Es war nicht klar, wer damit angefangen hatte, aber ein frisches Ei flog aus der Menge, klatschte gegen ein Holz-Geländer und zersprang in viele Stücke. Das Eigelb landete auf dem ausdruckslosen Gesicht eines der Gefangenen.
„Ihr Parasiten habt den Dämonen geholfen! Widerliche Verräter!“
„Ich hoffe, dass das Gericht dafür sorgen wird, dass ihr ungebildete Waisen zu Tode gefoltert werdet!“
„Hey, ihr Bastarde! Haben eure Mütter etwa mit Dämonen geschlafen? Warum habt ihr diesen Barbaren geholfen?!“
„Ihr könnt nicht mal die Stadtmauer richtig bewachen! Selbst ich alleine wäre ich immer noch deutlich besser als ihr!“
„Ihr habt unser Geld einfach nur eingesteckt und nichts damit gemacht! Ha! Das geschieht, wenn man arme und unwichtige Waisen zu Rittern macht und ihnen den Schutz der Mauern überlässt. Ihr Abschaum hättet schon längst ins Exil geschickt werden müssen!“
Zahlreiche Beleidigungen, Hohn und Spott ergossen sich über die Gefangenen. Jede einzelne dieser Rufe griff auch ihre Familien an, was die verletzten Ritter nur noch mehr demoralisierte.
Sie alle hatten schon mit ihren Leben abgeschlossen; Die letzten zwei Tage hatten sie nicht einen Tropfen Wasser erhalten und auch ihre Wunden waren nicht verarztet worden. Mit leeren Blicken starrten sie die Gesichter der Passanten, die alle vor Wut, Abscheu, Hass und Ablehnung strahlten, an. Sie waren nicht einmal mehr in der Lage, die Eier, die in ihren Gesichter zerplatzten, wahrzunehmen. Der Grund dafür war einfach: Was sie erlebt hatten, hatte sie taub für alles, was mit ihnen geschehen könnte, gemacht.
„Hauptmann, seid Ihr in Ordnung…“, fragte in einem der Transporter Kong seinen Vorgesetzten, Landi, welcher neben ihm mit ebenso leeren Augen wie alle anderen saß. Als er in Gewohnheit seine Hand ausstrecken wollte, wurde ihm wieder bewusst, dass er im vor zwei Tagen stattgefundenem Kampf seinen rechten Arm verloren hatte. In dem Kampf, den kein einziger seiner fünfzig Kameraden überlebt hatte; Sie alle waren in der Schlacht gefallen.
Die einzigen Überreste seiner kleinen Truppe an Rittern, die bis zum Tode gekämpft hatten und durch dick und dünn gegangen waren, waren aktuell nur er und sein Hauptmann…
Landi antwortete ihm nicht. Während er sich gegen das Geländer des Gefangenentransporter lehnte, blickte er nach außen und betrachtete die Außenwelt. Weder zeigte er Wut noch Trauer, selbst, als ihn eine Dose mitten ins Gesicht traf.
„Ihr Bastarde! Gebt mir meine Mutter zurück!“, schrie ein kleiner Junge, der sich aus dem Griff eines Erwachsenen befreit hatte und sich tränenüberströmt an das Geländer des Transporters klammerte.
Landi senkte seinen Kopf, sein Blick fiel auf die mit Hass erfüllten Augen des Jungen.
„…Es tut mir leid…“
…………….
„Stra- …Bitte trinkt doch eine Tasse Tee, mein Lord.“, gab sich der übergewichtige Rodo, der eine Teekanne trug, Ji Bai gegenüber äußerst unterwürfig.
Die Ehrenritter, welche sie beide umgaben, um die Gesandtschaft des Präsidiums zu empfangen, wunderten sich, wieso sich ihr normalerweise arroganter und überheblicher Vorgesetzter aktuell derartig benahm. ‚Wie hoch ist die Position von ihm denn, um vom fetten Rodo so behandelt zu werden?‘
„Wieso ‚Mein Lord‘? Erinnere dich, du bist doch der einige Lord hier, verstanden? Wenn du dich später erneut versprechen solltest…“, sprach Ji Bai mit eiskalter Stimme, während er eine Teetasse in die Hand nahm.
„Ja, verstanden! Mein Lord, ich werde nach Euren Wünschen handeln…“
„Möchtest du dich über mich lustig machen?“ Ji Bai verspürte den Drang, die Teetasse in seiner Hand auf Rodos Kopf zu zerschmettern.
„Ich berichte!…. Mein L-…“ Der Berichterstatter unterbrach seine Worte, als sein Blick auf den jungen, einen Helm tragenden Mann fiel, der gerade auf Rodos Platz saß und von diesem Tee serviert wurde und korrigierte seine Worte. „Äh, meine Lords! Die Richter, die vom Präsidium entsandt wurden, sind am Tor eingetroffen!“
„Hm? Sie sind ziemlich früh hier. Mein lieber Rodo, sind alle nötigen Unterlagen fertig?“ Ji Bai drückte dem übergewichtigen Abteilungsleiter wieder seine Tasse in die Hand. Dieser wirkte vor ihm wie ein Schüler, der in einer Prüfung sein bestes gab.
„Ich berichte m-… Ja, sie sind fertig.“
„Gut. Ich hoffe, dass es keine weiteren Versprecher mehr gibt. Sonst…“ Ji Bai tätschelte mit einem Lächeln Rodos Schuler. „Nun, ich werde dir nichts tun. Schließlich sind wie doch keine Dämonen, nicht wahr? Aber deine Rente und die Villa…“
Wenn sich das Herz einer Person ihren Gefühlen zufolge verformen könnte, wärde Rondos aktuell wohl zu einer Rosine zusammengeschrumpelt.
‚Ich dachte, meinen Job zu verlieren, wäre schon alles. Hat er seine Augen also auch auf meine Alterssicherung, die ich per Korruption erworben habe, geworfen…?‘
„Ja! Ich habe verstanden…“, nickte Rodo, eifrig wie ein Huhn, das Körner aufpickte.
„Sei bereit.“, meinte Ji Bai noch, bevor er mit ihm die Position setzte. Rodo setzte sich wieder auf seinen Stuhl und Ji Bai stand, Freude sowie Zufriedenheit ausstrahlend, hinter ihm.
Er hatte sich tatsächlich besonders umfangreich auf den heutigen Tag vorbereitet. Sogar für die Möglichkeit, dass jemand ihn anhand seiner Figur erkennen könnte, hatte er Vorsorge getroffen und trug daher eine volle Plattenrüstung, die ihn komplett verhüllte. Solange ihm niemand den Helm abnehmen sollte, konnte niemand herausfinden, wer er war.
Begleitet von zwei Reihen ernst blickender Ehrenritter als Wachen, betraten drei Personen die Niederlassung. In der massiven Kathedrale ertönte kein Geräusch als geordnete Schritte.
Die junge Frau, die die Gruppe anführte, hatte dichte und feine Haare. Ihre weiß und gold-gefärbten Zeremonienroben, die ihren Rang einer Tempelritterin anzeigten, konnten ihre wohlentwickelte Brust nicht vollständig verschleiern. Um ihre Beine hüllte sich ein kurzer, silberner Rock und eine Haarklammer in Form eines Kreuzes zierte ihr Pony.
Sie führte die Gruppe anführte mit kleinen Schritten an, während ihr Gefolge sie wie Planeten einen Stern umkreiste. Ihre violetten Augen, die wie ein Sternenhimmel funkelten und ihr eiskaltes, wie aus Jade gefertigtes Gesicht waren zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller geworden.
Obwohl sie noch jung, ihr Aussehen immer noch jugendlich, war, schmälerte die Anwesenheit der zwei erhabenen Ritter an ihrer Seite ihre Würde nicht im Geringsten.
„…Du…“ Ji Bai atmete durch seine Zähne tief ein und verengte seine Augen.
Er hatte richtig gehandelt, sich so ausführlich auf diesen Tag vorzubereiten.
Die Person, die eingetroffen war, war – unerwarteterweise – seine ‚Schwester‘.